Mut zur Lykke
Toke Lykkeberg hat keinen Tunnelblick. Ganz im Gegenteil: als Kurator, Journalist, Kritiker und Kunstberater ist er offen für unterschiedliche Disziplinen. Schon als Student zeigte sich seine Leidenschaft für Vieles, so belegte er Kurse in Philosophie, moderner Kunst, Kulturwissenschaftlen und Englisch – einen Abschluss machte er nie. Seiner Karriere hat es nicht geschadet. Und wer seinen Charme und seine Energie erlebt, weiß dass Toke Lykkeberg kein Diplom braucht, um die Erfolgsleiter zu erklimmen.
Aktuell ist der 38-Jährige einer von vier Kuratoren der Norwegischen Biennale “Momentum 8”, die älteste und etablierteste Biennale Skandinaviens. Außerhalb von Oslo werden zeitgenössische skandinavische Künstler ab dem 13. Juni unter dem Motto “Tunnelvision” ihre Werke präsentieren und sich mit dem Verhältnis der Kunst zu Kommunikation, Öffentlichkeit und Digitalisierung auseinandersetzen. Es stellen sich Fragen nach bildlichen Tunneln, die das moderne Zeitalter produziert oder auch miteinander verbindet. Wenn das Internet einen Menschen mit allen anderen verbinden kann, kann es ihn auch von allen separieren. Die Idee der diesjährigen Biennale ist zu zeigen, wie viele verschiedene “Tunnel” es gibt. Ein künstlerisches Experiment auf hohem Niveau und damit genau das, was Toke Lykkeberg reizt.
Er befasst sich permanent mit neuen Ansätzen in der Kunst, aber auch im gesellschaftspolitischen Leben. Als Kolumnist und Korrespondent schrieb er für eine linke Zeitung, trug stets die “Süddeutsche”, den “Guardian” oder die “Libération” unter dem kritischen Arm. Für mehrere Jahre leitete der Däne die größte und wahrscheinlich spannendste Galerie Kopenhagens, IMO (In My Opinion), die von Künstlern eigenständig verwaltet wurde und Kunst mit Fundstücken und Filmen aus dem Internet durchsetzte. Für Momentum suchte er einen deutschen, einen dänischen und zwei amerikanische Künstler aus, die ihn faszinieren.
Der sympathische Norde besuchte uns in der Quality Redaktion und erzählte von seiner Perspektive auf neue Kunstbewegungen und den Wandel des World Wide Web.
Die nächste Biennale in Oslo steht vor der Tür. Wie arbeiten die Kuratoren der Momentum 8 miteinander?
“Tunnelvision“ ist die Überschrift der diesjährigen Biennale. Es geht darum, keine periphere Wahrnehmung zu haben und nur eine Richtung sehen zu können. Es geht um Engstirnigkeit. Historisch gesehen haben fast alle großen Künstler eine Tunnelblick. Sie müssen sich in ihre Welt zurückziehen, um ein eigenes Universum zu schaffen.
Heute sind alle Künstler Individualisten. Jeder von ihnen muss sein eigenes Ding entwickeln. Thomas Wolf sagte: „Das Erste, was ein Künstler erschaffen muss, ist sich selbst“. Picasso zum Beispiel war ein großer Charakter und hat die Kunst fünf Mal neuerfunden. Er ist so berühmt, weil er seinen eigenen Stil durchgezogen hat. Ältere Kunst war anders. In der Renaissance ging es um das bestmögliche, perfekteste Bild.
Was hat das mit Kultur zu tun und mit der Kultur in der wir leben?
Das Internet ist das Fenster zur Welt. Wir haben Zugang zu jeder Information, die wir benötigen, Wikipedia ist größer als jede herkömmliche Enzyklopädie und wächst ständig. Gleichzeitig gibt es Algorithmen und Cookies, die das Internet persönlicher machen. Was du im Internet suchst, hängt davon ab, wer du bist und wo du bist. Wir bekommen also nicht alle die gleiche Information. Vor 20 Jahren hatten wir alle Fernsehen und schauten die Nachrichten um 20.00 Uhr. Mittlerweile werden 50% der Nachrichten online konsumiert. Wir bekommen nicht die identischen Informationen, weil wir uns aussuchen können, welche Informationen wir bekommen möchten. Ich kann, wenn ich möchte, den ganzen Tag lang nur eine einzige Nachrichtenquelle nutzen und in diesem Tunnel verschwinden. Wir sind ständig in unserer eigenen Welt.
Worauf richtet sich ihr Fokus derzeit, wenn Sie über Kunst nachdenken?
In den USA findet eine neue Bewegung namens „Post Internet Art“ statt. Das Internet ist zwar nicht tod, aber es hat sich in etwas Anderes verwandelt. In den 90er und Anfang der 00er Jahre war es ein Cyberspace. Ging man online, verließ man die reale Welt und betrat eine andere Realität. Heutzutage ist man eher nicht mehr Teil dieser Welt, wenn man nicht online ist. Das Internet ist jetzt unsere Realität. Es hat sich durch die sozialen Medien gewandelt. Wir können Onlineaktivitäten kaum noch von Offlineaktivitäten unterscheiden. Beide haben echte Konsequenzen. Jetzt gibt es das Internet der Dinge, was bedeutet, dass alle Objekte mit dem Internet verbunden werden. Ein Beispiel: Mein Telefon, mein Tablet und mein Computer sind miteinander verbunden und schicken sich permanent gegenseitig Informationen. Früher diente das Internet dem Menschen zur Kommunikation. Heute ist es so: Sie müssen um neun Uhr bei der Arbeit sein und stehen um 7:30 Uhr auf. Doch Ihr Zug hat Verspätung, weshalb Sie einen früheren Zug nehmen müssen. Ihr Wecker wird automatisch umgestellt auf 7:25 Uhr. Ihre Kaffeemaschine fängt um 7:55 Uhr an, Kaffee zu kochen und Ihre Dusche wärmt sich um 8:15 Uhr anstatt um 8:20 Uhr auf. All diese Objekte kommunizieren miteinander. Es ändert Ihre Realität. Wie mein Kalender, ich habe ihn nicht mehr unter Kontrolle. (lacht)
Welche Konsequenzen hat das?
Das Internet ist nicht immateriell, virtuell oder Cyberspace. Das Internet ist Teil der echten Welt, eingebettet in all die Objekte, mit denen wir uns umgeben. Wenn sich Künstler für das Internet interessieren und dafür wie es sich entwickelt, interessieren sie sich wiederum für Objekte. Früher waren Künstler, die am Internet interessiert waren, nicht an traditioneller Kunst interessiert. Jetzt ist es modern, sich mit echten Objekten zu beschäftigen. Zum Beispiel das 3D-Drucken. Man erstellt ein Bild auf dem Computer und druckt es. Das ist natürlich eine interessante Arbeitsweise für Künstler. Das sind High-Tech Skulpturen.
Was machen Künstler, die sich mit dem Internet beschäftigen, ganz konkret?
Ein Künstler spannt zum Beispiel Reflektorstoff auf einen Rahmen und druckt darauf. Anschließend fotografiert er es und das Material reflektiert das Licht. Dabei entsteht nie zwei Mal das selbe Foto, weil das Material sehr lichtempfindlich ist. Bei Tageslicht wird das Ergebnis schwarz-weiß. Der Künstler wollte ein Gemälde erstellen, das unmöglich zu dokumentieren ist. Eines seiner Bilder kreiert tausend andere Bilder. Diese stellt er dann online. Manchmal benutzt er Bilder von seinen Fans in seiner Arbeit, so hat er eine Community ins Leben gerufen. Sein Name ist Parker Eto.
Geht es auch darum, Kontrolle über die eigenen Kunstwerke zu behalten?
Heutzutage muss man loslassen, um Kontrolle zu behalten. Man muss seine Arbeit loslassen, aber trotzdem im Auge behalten. Es ist eine flexible Beziehung. Wenn man seine Arbeit zu sehr beschützt und sie nicht in Magazinen oder Online verbreitet, hat man kein Publikum. Diese Künstler möchten Aufmerksamkeit, sie möchten in den Medien sein. Sie integrieren die Medien in ihrer Arbeit, um ihre Öffentlichkeit zu lenken. Künstler denken darüber nach, wie Bilder zirkulieren. Jedes mal wenn ein Bild zirkuliert, ändert sich das Format und die Materialität. Es verwandelt sich von dieser Auflösung in eine andere, von Papier zu digital. Die Künstler arbeiten mit diesem Wandel.
Auch Printmagazine werden flexibler und arbeiten mit virtuellen wie realen Welten gleichermaßen.
Herr Lykkeberg, wir bedanken uns für die interessanten Einblicke.